Wie bereits erwähnt, waren die Batallasdie ersten Stücke, die mir auffielen. Darunter gab es wiederum einige, die sehr akkordische Strukturen oder auch reine zweistimmige Passagen enthielten. Deshalb entschloss ich mich, für diese Stücke eine zweite Trompete einzubeziehen oder, wenn dies möglich und sinnvoll erschien, einen kompletten dreistimmigen Trompetensatz mit Pauken zu realisieren. Gerade letzteres ergibt zusammen mit den vollen Orgelklängen ein regelrechtes Klanggetöse. Der Gegensatz zu den intimen, gesanglichen Stücken könnte kaum größer sein und bildet genau jenes Spektrum ab, das die Naturtrompete im 17. und 18. Jahrhundert innehatte.
Eine Besonderheit ist die Batalla imperial von Juan Cabanilles. Als ich dieses Stück in der Cabanilles-Gesamtausgabe fand, war ich zunächst etwas unschlüssig. Irgendwie passte es nicht zu den anderen Stücken. Es war sehr einfach strukturiert und hatte von der ganzen Anlage her recht wenig mit all den anderen mir bekannten Kompositionen gemein. Ich startete trotzdem den Versuch einer Bearbeitung, legte das Stück aber bald beiseite. Bei unserem ersten Besuch in Grandvillars, bei dem Joanund ich alle in Frage kommenden Stücke anspielten und unterschiedliche Registrierungen ausprobierten, erzählte er mir von einem Stück, das es in mehreren Quellen gab – zwei davon in Spanien –und dass es sich dabei um ein Stück von Johann Caspar Kerll handelt, das irrtümlich auch Cabanilles zugeschrieben wurde, weil es sich in dessen Sammlung befand. Was für eine Überraschung: Es war genau das Stück, welches mir so anders vorkam! Demnach gab es also einen musikalischen Austausch zwischen Wien bzw. München und der iberischen Halbinsel. Plötzlich war dieses Stück ungemein interessant: Als Bindeglied zwischen der für uns Trompeter vielfältig dokumentierten süddeutschen/österreichischen Tradition und eben der unbekannten iberischen. Eine sich wiederholende Floskel in Cabanilles/Kerlls Batalla erschloss sich mir folglich auch mit genau diesem Hintergrund: In der ersten uns bekannten Trompetenschule Tutta larte della trombetta von Cesare Bendinelli, erschienen 1614 in München, spricht dieser von einer speziellen Manier im Prinzipalregister, dem „druan“. Dabei wird das tiefe g (der 3. Naturton) quasi als Vorschlag an die höhere Hauptnote, das c, angeschliffen. Diese besondere Artikulation wird heute nirgends angewendet, ergibt aber in genau diesem Zusammenhang absolut Sinn und verleiht dem Stück einen ganz eigenen Charakter. Diesen Prinzipalpart habe ich dann auch unisono für alle drei Trompeten gesetzt, was sich wiederum an Bendinelli anlehnt, der von „Rotta“ spricht, wenn er solche Signalmotive explizit dem ganzen Trompetenchor zuweist.
Ein weiterer musikalischer Zusammenhang erschloss sich mir in der Batalla famosa. In einem der 3/2-Abschnitte erklingt für ein paar Takte ein Motiv, das wir Trompeter aus zwei anderen Stücken kennen. Es ist das Motiv „Kindel wiegen auf Weihnacht“. Johann Heinrich Schmelzer verwendete es in seiner Sonata natalis,und auch bei Pavel Joseph Vejvanovsky erklingt es in einer Sonata. Es ist wohl legitim anzunehmen, dass es auch hier einen musikalischen Austausch gegeben hat. In diesem Zusammenhang erinnern mich einige Melodiebögen, die ich in meinen Bearbeitungen realisieren konnte, an Kompositionen, die heute in der für uns Trompeter so interessanten Sammlung im Schloss Kroměříž (Kremsier) inTschechien erhalten sind. Speziell die Passagen, in denen das mittlere b, also die zu tiefe Septime der Naturtonreihe, vorkommt (wie z.B. in der Batalla von Pablo Bruna), erwecken in mir immer wieder ein wenig die Assoziation an H.I.F. Biber, J.H.Schmelzer oder P.V.Vejvanovsky.
Die Pavana con su glosa von Antonio de Cabezón ist, wenn man so will, ein Widerspruch in sich, denn Cabezón schreibt sie im 3/2-Takt. Eine Pavana steht aber bekanntlich in einem geraden Takt. Das Hauptmotiv inspirierte mich, es in verschiedene rhythmisierte Variationen zu setzen, und so haben wir uns dazu entschieden, die Pavana auch in einem geraden Takt beginnen zu lassen. Der originale 3/2-Takt von Cabezón folgt erst später. Die Verwendung der Trommel gibt dem Beginn zusätzlich noch eine sachliche Strenge. Als letzte Variation habe ich einen beschwingten 6/8-Takt realisiert und ihn rhythmisch mit dem Tamburin unterstützt. Dieser Abschnitt könnte auch gut ein Saltarello von Girolamo Fantini sein.
Die Tres glosas sobre el canto de la Inmaculada Concepción sind in der Komposition von Francisco Correa de Arauxo quasi instrumentale Variationen. Ich habe mir erlaubt, diese nach C zu transponieren, um sie für die Naturtrompete spielbar zu machen. Dem daraus entstandenen virtuosen Dialog zwischen Trompete und Orgel haben wir mit dem schlichten, originalen Canto ergänzt.
Ähnlich angelegt ist die Bearbeitung des Pange lingua von Pablo Bruna. Der cantus firmus wäre zwar prinzipiell auf einer Naturtrompete spielbar, würde den Bläser aber vor erhebliche konditionelle Herausforderungen stellen, denn es gibt keine Pause, und die Partie geht bis ins hohe Clarinregister. Auch wenn das Stück spielbar ist, sprengt es doch den Rahmen und kommt in einer solchen Form in der originalen barocken Trompetenliteratur höchst selten vor. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschlossen, den Trompetenpart aus der Altstimme der Variation von Pablo Bruna zu entwickeln. Ich habe ihn im Stile der Zeit mit Diminutionen und Umspielungen versehen, und es entstand eine Art Improvisation. Ergänzt haben wir die Variationen wiederum mit dem originalen Canto. Im Zusammenspiel entsteht so eine sehr abwechslungsreiche, mehrstrophige und überaus farbige Komposition.
Das Kyrie von Francesco Valls steht stellvertretend für den generellen Kontext dieser Musik. Alle hier eingespielten Kompositionen sind für den sakralen Gebrauch in einer Kirche bestimmt. Valls hat seine Messvertonung wohl erst deutlich nach 1700 geschrieben. Sein musikalischer Stil ist aber früherorientiert und passt hervorragend zu den anderen Werken unserer Auswahl. Einem 4-stimmigen Vokalchor, den wir in unserer Einspielung mit der Orgel realisiert haben, sind zwei separate, korrespondierende Stimmen hinzugefügt, wovon sich Canto IImit seinem Ambitus geradezu für die Trompete anbietet. Dem Kyrie vorangestellt habe ich eine kleine Improvisation über einen Fabordon llano. Solche Fabordons finden sich in überaus großer Zahl bei sehr vielen Komponisten. Sie waren in der Regel als Intonationen für die darauffolgenden Kirchengesänge gedacht. Insofern haben wir auch hier versucht, der musikhistorischen Tradition gerecht zu werden.
Eine kurze Anmerkung möchte ich noch zu den Stückbezeichnungen wie „ ... de sexto tono“ oder „... de quarto tono“ geben. Diese beziehen sich auf die Hauptnoten bzw. Stufen einer Tonleiter. In der Musiktheorie sprechen wir heute noch von den Kirchen- oder Modaltonarten. In der Praxis haben wir aber den Bezug zu diesen weitgehend verloren. Es ist uns heute kaum noch möglich, entsprechende Melodien diesem System zuzuordnen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese modalen Tonarten früher oft auch transponiert verwendet wurden. Was uns aber bis heute geblieben ist, sind die besonderen Strukturen mit oft überraschenden Halbtonschritten und tonalen Wendungen, die an Reiz und klanglicher Schönheit nichts verloren haben.